Angesichts der bevorstehenden Niederlage durch den Zusammenbruch der Westfront und ein Vorstoßen der Alliierten über Italien und den Balkan forderte General Ludendorff am 29.September 1918 Kaiser Wilhelm mit der Begründung, dass "die militärische Katastrophe nicht mehr länger verhindert werden könne"
Erich Ludendorff zitiert nach: Haffner, Sebastian: "Die deutsche Revolution 1918/1919". München 1979; Seite 29
dazu auf, binnen 24 Stunden ein Waffenstillstandsgesuch an die Alliierten einzureichen.
Am 28.September hatte er bereits morgens an den seit dem 1.November 1917 amtierenden Reichskanzler Graf Freiherr von Hertling eine Mitteilung nach Berlin geschickt, in der er ihn zu einer "Umbildung der Regierung" oder einem "Ausbau derselben auf breiter Basis"
Erich Ludendorff zitiert nach: Haffner, Sebastian: "Die deutsche Revolution 1918/1919". München 1979; Seite 32
aufforderte. Hertling sollte umgehend zur Besprechung ins OHL-Hauptquartier im belgischen Spa kommen.
Am Nachmittag gegen 16.00 Uhr suchte Ludendorff dann das Gespräch mit Hindenburg. Ludendorff wollte verhindern, dass eine militärische Niederlage den Ruf der OHL und der deutschen Armee beflecken würde. Er konnte sich aber in seiner Position ebenso wenig auf Waffenstillstandsverhandlungen einlassen; eine diplomatisch herbeigeführte Niederlage hätte im militaristischen Deutschen Reich eine größtmögliche Schande bedeutet. Als Ausweg blieb also nur die Schuld an der Niederlage anderen anzuhängen und für diese Rolle hatte er sich die Parteien des Reichstages ausgewählt: durch eine Verfassungsreform sollten diese größere Macht und Entscheidungsgewalt erlangen und somit auch die Waffenstillstandsverhandlungen führen, wodurch die OHL sich nicht die Finger an einem Frieden beschmutzen würde.
Hindenburg führte dieses Spiel im so genannten "Dolchstoßprozess" am 18.November 1919 sogar noch weiter. In diesem "parlamentarischen Untersuchungsausschuss für die Ursachen des Zusammenbruchs" sollten die Gründe für die Niederlage des deutschen Reiches im 1. Weltkrieg geklärt werden. Bei seiner Aussage klagte Hindenburg die Sozialliberalen an, dem deutschen Heer mit ihren Friedensverhandlungen in den Rücken gefallen zu sein und nur durch sie sei der Zusammenbruch zustandegekommen. Diese "Dolchstoßlegende" wurde besonders im nationalsozialistischen Deutschland als Zeichen für die Zersetzung des völkischen Staates durch linke Elemente propagiert.

Zurück zum 29.September 1918. Nachdem Ludendorff am Vortag mit seinem "Vorgesetzen" Hindenburg - Ludendorff gab inzwischen allein die Richtung für das Handeln der OHL vor - den militärischen und mit Hertling den politischen Teil seines Planes besprochen hatte, traf er sich am Vormittag mit dem Staatssekretär Paul von Hintze, der von den Ideen Ludendorffs begeistert war. Gemeinsam planten sie die "Revolution von oben" . Gegen Mittag wurde Hindenburg hinzugezogen und am Nachtmittag traf man sich gemeinsam mit dem Kaiser, um sich, einmal wieder, seine Zustimmung abzuholen.
Um 16.00 Uhr empfing dieser anschließend den inzwischen aus Berlin eingetroffenen Hertling. Wilhelm blieb jedoch nicht mehr zu tun als dessen Rücktrittsgesuch entgegenzunehmen; mit demokratischen Reformen wollte Hertling nichts zu schaffen haben.

Der Weg im Deutschen Reich war nun frei für eine parlamentarische Monarchie, die schon seit Jahren von den liberalen Parteien ohne jeglichen Erfolg gefordert worden war. Nun wurde sie vom Chef der OHL ins Leben gerufen und am 30.September durch eine Unterschrift des Kaisers für rechtsgültig erklärt!
Am 1.Oktober setzte Ludendorff den Stab der OHL über die Geschehnisse in Kenntnis: es wäre nun an der Zeit "diejenigen Kreise an der Regierung zu beteiligen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, dass wir so weit gekommen sind. Sie sollen die Suppe essen, die sie uns eingebrockt haben."
Erich Ludendorff am 1.Oktober 1918 zitiert nach: Maser, Werner: "Friedrich Ebert". München 1987; Seite 162

In diesem Sinne erklärte der OHL-Gesandte Major von dem Bussche am 2.Oktober im Reichstag den anwesenden Abgeordneten, dass ab jetzt "jede 24 Stunden die Lage verschlechtern und den Feind unsere eigentliche Schwäche erkennen lassen"
von dem Bussche zitiert nach: Haffner, Sebastian: "Die deutsche Revolution 1918/1919". München 1979; Seite 38
könnten. Die Abgeordneten reagierten geschockt, viele verließen unter lautstarker Empörung den Saal. Bis vor wenigen Tagen hatte die OHL den Durchhaltewillen gepredigt und ständig den "greifbaren Sieg" über die Alliierten proklamiert und nun von gleicher Stelle das Eingeständnis der Niederlage! Wozu hatte man unter all den Entbehrungen gelitten, wenn doch nun alles umsonst gewesen war? Doch öffentlich die OHL für die eigene Blamage vor dem Volk zu beschuldigen war unmöglich, dazu war ihr Ansehen trotz des Eingeständnisses der Niederlage noch viel zu groß. Schließlich war man es ja selbst gewesen, der die Parolen nachgeplappert hatte und dies wurde dem Parlament nun auch von den Menschen zum Vorwurf gemacht.
Am selben Abend traf sich von dem Bussche mit den Fraktionsvorsitzenden, um sie über die geplante Verfassungsreform zu informieren und sich ihre Meinung über eine Regierungsbeteiligung einzuholen.

Die Reform beinhaltete, dass der Reichskanzler ab jetzt vom Reichstag gewählt und nicht mehr vom Kaiser ernannt werden sollte. Außerdem sollte sich die Regierung ab jetzt im gleichen Verhältnis wie der Reichstag aus Abgeordneten zusammensetzen.
Scheidemann sprach sich noch am gleichen Abend gegen eine SPD-Beteiligung an der Regierung aus, da es sich seiner Meinung nach nicht mehr lohnen würde, in solch ein "bankrottes Unternehmen"
Philipp Scheidemann zitiert nach: Haffner, Sebastian: "Die deutsche Revolution 1918/1919". München 1979; Seite 41
zu investieren. Doch er konnte sich gegen Ebert nicht durchsetzen, der sich später "nicht dem Vorwurf aussetzen (wollte), die Partei hätte im Augenblick ihrer Mitwirkung versagt"
Haffner, Sebastian: "Die deutsche Revolution 1918/1919". München 1979; Seite 41
. So wurden Scheidemann und Gustav Bauer durch Eberts Willen die ersten SPD-Staatssekretäre des Deutschen Reiches in der Regierung aus Fortschrittlicher Volkspartei, Zentrum und SPD und der liberale Zentrumsabgeordnete und badische Thronfolger Prinz Max von Baden am 3.Oktober neuer Reichskanzler auf der Basis einer Reichstagsmehrheit. Am 5.Oktober wurde die Verfassungsreform - nach ihrem Erscheinungsdatum als "Oktoberreform" bezeichnet - dem Volk bekannt gegeben, das nun hoffte den Wunsch nach Frieden von der neuen Regierung endlich erfüllt zu bekommen.

Copyright (©) 2002 by Karena Kalmbach, Berlin